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Presse / Publikationen / 2015_2023 /  

Das übliche Gemecker über big Pharma

Vergangene Woche war’s mal wieder so weit. Der verwegene Enthüllungsjournalist Klaus Balzer wagte sich, auf Schritt und Tritt begleitet von einer Livie-Camera, an ein in den letzten Jahrzehnten gefühlt hundertmal und mehr der Nation aufwühlend aufgetischtes Thema heran: „Teure Tabletten – Pillen, Preise und die Pharmaindustrie“ so der Titel der „ZDFzoom“-Dokumentation am Mittwoch, dem 15. Januar.
 
Aufrüttelnde Beiträge von Dokumentarfilmer Balzer waren zuvor auch schon im NDR- und WDR-TV mit Titeln wie „Albtraum Versicherung“, „Patient ohne Rechte“, „Das Schweigen der Ärzte“ oder auch „Der große Nebenverdienst – Korruption in Deutschland“ sowie „Der Fall SPD – Überlebenskampf einer Volkspartei“ zu sehen.
 
Pharmastory hat einen historisch langen Bart
 
Wer sich aber von der neuesten Pharmastory innovative Erkenntnisse erwartet hatte, wurde arg enttäuscht. Spätestens seit der „Selbstanzeige“ des Mediziners und damaligen Hoechst-Pharmamanagers Reinhold Rathscheck, der in seinem Buch „Konfliktstoff Arzneimittel“ bereits im Jahr 1974 den gesellschaftspolitischen Zündstoff bei der Entwicklung und die Probleme bei der Vermarktung von Arzneimitteln aufzeigte, ist die Thematik in unzähligen Dokumentationen, Diskussionen und Talkrunden einem zunehmend gelangweilten Publikum immer wieder neu serviert worden.
 
Und schon mit dem bereits 1977 vom damaligen Arbeits- und Sozialminister Herbert Ehrenberg (SPD) initiierten ersten „Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz“ wurden Arzneimittelhöchstbeträge und Leistungseinschränkungen wie die Aussetzung der Erstattung von sogenannten Bagatell-Medikamenten und die Einführung von Zuzahlungen zu Arzneimitteln für die gesetzlich versicherten Patienten eingeführt. Ebenfalls bereits 1974 hatte der damalige rheinland-pfälzische Sozialminister, spätere CDU-Generalsekretär und Bundesfamilienminister Heiner Geißler den Begriff „Kostenexplosion im Gesundheitswesen“ geprägt. Die um immer neue Facetten angereicherte Pharmastory hat einen historisch langen Bart.
 
Bestenfalls Unterhaltungswert
 
Um dennoch Pfiff in seine „Zoom“-Geschichte zu bringen, bedient sich Balzer einer leider wiederum gerade auch im Pharma-Genre schon altgedienten Methode. Wie einst der ebenfalls dem WDR verbundene Journalist Gert Monheim in seiner damaligen Reihe „Gesucht wird …“ verwendet auch Balzer die Technik, seine investigative Vorgehensweise im Ich-Erzählerstil zu präsentieren, um zu dramatisieren und aufzubauschen („ich will nun von xy wissen …, dazu begebe ich mich in …“).
 
Monheims mit dem Grimme-Preis ausgezeichnetes Doku-Drama „Gesucht wird … eine Todesursache“ über das damalige Hoechst-Antidepressivum Alival/Psyton hatte schon 1986 in einer Art Selbstporträt den Autor als detektivischen Enthüller präsentiert, der sich bis vor und dann sogar in die Höhle des Löwen wagt. Während Monheim seinerzeit nur mit einem Kamerateam und ohne jeden weiteren Begleitschutz gleich einem halben Dutzend gestandenen Hoechst-Managern in deren Frankfurter Headquarter entgegentrat und in einem weiteren Interview schlussendlich den damaligen Leiter des Arzneimittelinstituts beim Bundesgesundheitsamt Bernhard Schnieders in heillose Widersprüche und damit um seinen Job brachte, konnte sich Balzer nur bis an die äußere Umzäunung des Betriebsgeländes des Pharmaherstellers und französischen Hoechst-„Erben“ Sanofi in Frankfurt vorarbeiten. Am Zaun dann wurde er vom herbeieilenden Sicherheitsdienst in Empfang genommen und dramaturgisch unübertrefflich an einem weiteren Vordringen gehindert.
 
Leider aber hat diese Art von Beiträgen bestenfalls Unterhaltungswert. Den grundlegenden Zielkonflikten werden sie nicht gerecht. Das scheint auch das Publikum zu spüren; beim von Balzer ebenfalls um eine Stellungnahme gebetenen „Verband Forschender Arzneimittelhersteller“ (vfa) sind bislang keinerlei Nachfragen seitens anderer Medien oder des ZDF-Publikums eingegangen.
 
Verlangen in Forschung und Entwicklung
 
Richtig ist, dass die Arzneimittelpreise in Deutschland im Weltmaßstab recht weit oben rangieren. Das hat viele Gründe; unter anderem basiert die Preisfestsetzung seitens der Unternehmen auf einer Mischkalkulation, die Lebensstandard und Kaufkraft eines Landes, aber auch die Forschungs-, Entwicklungs- und Vertriebskosten einbezieht. Nimmt man nur den Herstelleranteil von 52 Prozent des Endpreises, lässt also die Margen für Großhandel, Apotheker und die Mehrwertsteuer außer Acht, liegen die Preise in Deutschland sogar im unteren Teil der europäischen Rangskala. Gegen Festbeträge, Preisverhandlungen, Zwangsrabatte und einige weitere Instrumente aber kann auch die Pharmaindustrie längst kein Kraut mehr wachsen lassen.
 
Klar ist auch, dass Pharmaunternehmen und -manager in Hochtechnologieländern wie Deutschland, die ein großes Wohlstandsniveau aufweisen, gut verdienen. Das trifft aber auch auf die Ärzteschaft, die Apotheker, viele private Kliniken und andere medizinische Einrichtungen zu. Die meisten Menschen empfinden ihre Gesundheit als eines der höchsten Güter. Bei schwerwiegenden Krankheiten wie Krebsleiden oder Viruserkrankungen ist den Leuten die Hoffnung auf eine heilende oder zumindest ihre Schmerzen lindernde Therapie viel wert. Zugleich wird es immer aufwendiger und diffiziler, neue pharmakologische Wirkstoffe zu erforschen und zu entwickeln.
 
Daraus resultiert das Verlangen der in Forschung und Entwicklung investierenden Unternehmen nach einem Schutz gegenüber Nachahmern und einem in ihren Augen angemessenen Preis. Die immerwährende Aufgabe der Politik ist es, für den „Konfliktstoff Arzneimittel“ nun einen angemessenen Patentschutz zu gewähren und einer überzogenen Preisbildung entgegenzuwirken. Da allenfalls Lebensmittel so intensiv und existenziell auf das Leben von Menschen einwirken und es bewahren können wie Arzneimittel, wird das Verlangen nach allgemeiner Verfügbarkeit auch für nicht privilegierte Bevölkerungskreise und international für weniger wohlhabende Nationen immer virulent sein.
 
Schaum vor’m Maul ausleuchten
 
Der Konflikt zwischen sozialer medizinischer Versorgung und dem auf Umsatz und Gewinn ausgerichteten Markt muss beständig neu austariert werden. In Deutschland und Europa sind in den vergangenen Jahrzehnten immer neue Regelwerke entwickelt worden, die von Zulassungsbestimmungen über gesetzlich verordnete Zwangsrabatte, gedeckelte Budgets und Preismoratorien bis hin zu Nutzenbewertungen und Preisverhandlungen reichen.
 
In den vergangenen Jahren haben auch bereits einige Hersteller von einer Vermarktung einzelner Produkte in Deutschland abgesehen, um den Referenzpreis in ihrem Hersteller-Heimatland für die internationale Vermarktung nicht nachteilig zu beschädigen. Denn nur noch wenige Unternehmen von Weltrang sind in Deutschland, das einmal mit rund einem Dutzend führender Pharmaunternehmen als „Apotheke der Welt“ galt, als ihrem zentralen Standort beheimatet. Wo aber „Big Pharma“ durch Übernahmen verschwindet, da gehen auch Arbeitsplätze verloren und es versiegen Steuerquellen für die öffentlichen Haushalte.
 
Diese diffizile Situation einmal ohne den berühmten Schaum vor’m Maul auszuleuchten, wäre aller journalistischer Ehren wert. Komplexe Sachverhalte lassen sich allerdings in einer eher reißerischen Manier kaum abbilden. Dafür aber mit einem umfassenderen Zoom fokussieren. Das wäre dann wahrhaft innovativer Journalismus.
 
Spannend gemacht, könnte es trotzdem Grimme-preisverdächtig sein. Denn auch die Medien sollten sich – gerade auch mit dem Blick auf die für sie marktrelevanten Quoten – fortentwickeln. Dem journalistischen Anliegen und der Sache würde es gut tun.
 
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von Richard Schütze
   
 
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