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Eigentlich sollen Zertifikate den Verbrauchern das Leben erleichtern. Doch zwischen EU-Richtlinien und deutschen Regelungen entstehen so manche Konflikte.
 
Markt und Wettbewerb gehören zusammen. So zumindest hatten wir es gelernt. Aber der Markt hat auch seine Mysterien wie z.B. die eines zuweilen merkwürdig changierenden und irgendwie nur für Eingeweihte recht geheimnisvoll funktionierenden Preiswettbewerbs an den Tankstellen, des Rundum-sorglos-Wettbewerbs von systemrelevant auftretenden Banken im Vertrauen auf willfährige Rettung durch Staat und Steuerzahler oder auch des Wettbewerbs von Netz-Monopolisten vor allem mit sich selbst.

Ganz abgesehen von diesen dunklen Ecken führt aber mancher Wettbewerb paradoxerweise auch dazu, „unique“ sein zu wollen – also eine „Alleinstellung“ im Markt zu erobern, um so dem Mitbewerber eins auszuwischen. Dort aber, wo all dies so recht nicht zündet, müssen andere Strategien her wie z.B. die, den Markt-Spieß einfach umzudrehen: Produkt und Preis nicht an der Marktlage auszurichten, sondern die Marktlage am Produkt. Auch das klappt zuweilen ebenso einfach wie genial.

Französische Rebellen und englischer Eigensinn

Ein Sesam-öffne-Dich für diese Pflege von Markt-Rahmenbedingung ist das Sicherheitsbedürfnis der Menschen. Eine psychische Grundkonstante, deshalb multipel verwendbar. Unter dem Label Sicherheit lässt sich nahezu alles legitimieren: Verbote, Verschleierungen und natürlich auch die Konzentration der Anbieter auf diejenigen, für die „sichere“ Herstellungsverfahren üblich und finanzierbar sind. In Wohlstandsgesellschaften ist dies der Renner.

Ein Beispiel: Wir schreiben das Jahr 1991, als die EU-Kommission sich anschickt, Rohmilchkäse zu verbieten. Zu viele Krankheitserreger, zu viele Gefahren. Dieses Verbot wurde besonders eifrig von den drei französischen Großmolkereien vorangetrieben, die im Land der 246 Käsesorten (Charles de Gaulle) die Chance zur Erweiterung der Marktanteile ihrer pasteurisierten Milcherzeugnisse sahen. Dem rebellischen Geist unseres Nachbarlandes ist es zu verdanken, dass wir weiterhin die Rohmilchköstlichkeiten auch in der EU noch genießen dürfen – unterstützt vielleicht auch von einer kleinen Portion britischem Eigensinn, denn auch Prinz Charles trat dem Protest gegen das Rohmilchkäseverbot bei.

Natürlich braucht es eine öffentliche Autorität, um den Kampf gegen eine Gefährdung durch Produkte auch „politisch“ manifest zu machen – also beispielsweise den Wohlfahrtsanspruch auf Schutz vor Gesundheitsgefährdungen zu postulieren. Beim Rohmilchkäse war es die öffentliche Gesundheitspflege, die kurzerhand von der (seltenen) Einzelinfektion auf die Großgefahr extrapolierte. Im technischen Bereich erscheint eine Normung über Fachgesellschaften oder Zweckvereine zum erwünschten Ziel zu führen.

Wir haben uns daran gewöhnt, dass wir Gewissheit über Qualitätsstandards und ein damit verbundenes Sicherheitsgefühl aus allerlei Zertifikaten (lat. Certe, also „gewiss“) durch verliehene und an Produkten angebrachte Güte- oder Prüfsiegel ableiten. Sicherlich ist dies eine große Hilfe bei der Orientierung in der „neuen Unübersichtlichkeit“, die Jürgen Habermas im allgemeinen gesellschaftspolitisch komplexen Kontext, aber durchaus auch auf die komplexe Welt der technischen Produkte übertragbar, diagnostiziert.

Das neueste Beispiel liefert der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW), der als Interessenverband der Zulieferer zum Installationsgewerbe sinnvollerweise eine eigene Zertifizierungsstelle betreibt. Er hatte einem italienischen Unternehmen mit Namen Frabo um die Jahrtausendwende für dessen Gas- und Wasserrohrfittings das DVGW-Zertifikat zunächst erteilt; dieses Zertifikat hat der Verein dann aber ohne Begründung wieder zurückgenommen und zugleich die Prüfanforderungen ohne Notwendigkeit in der Sache erweitert. Dann wurde das italienische Produkt vom deutschen Verband abermals geprüft, was diesmal aber wie zu erwarten prompt dazu führte, dass die Frabo-Fittings die zusätzlichen Anforderungen nicht erfüllten.

Da aber der DVGW ein privater Verein ist, meinte auch die erste Instanz eines deutschen Gerichts nichts Anstößiges an diesem Vorgehen finden zu können. Die zweite Instanz, das Düsseldorfer Oberlandesgericht, aber setzte diesem Treiben ein vorläufiges Ende: Das Ganze sei vor dem Hintergrund des europäischen Wettbewerbsrechts nicht statthaft und das Zertifikat unter Androhung einer hohen Geldbuße unverzüglich zurückzugeben.

Gut für die Glaubwürdigkeit von Zertifikaten

Dem Wettbewerb schien damit Genüge getan und die Firma Frabo hatte ihre Zertifikate wieder. Allerdings ist damit das Tauziehen um das italienische Produkt noch nicht zu Ende. Nicht nur dass der DVGW, der inzwischen seine Zertifikate – was besser aussieht – über eine extra neu gegründete „DVGW Cert GmbH“ erteilt, Revision angekündigt hat, sondern es haben sich inzwischen auch eilfertige Journalisten in der ARD-Sendung „Plusminus“ zu Wort gemeldet; dort stellen sie die besorgte Frage: „Gefährden EU-Normen deutsche Qualitätsstandards?“ und bieten den deutschen Wettbewerbern des italienischen Unternehmens Begleitschutz – indem sie das Logo eines deutschen Herstellers unverhohlen neben das DVGW-Siegel ins Bild rücken, ansonsten aber die selbst gestellte Frage gar nicht beantworten.

Trotzdem ist diesmal schlussendlich etwas Gutes für die Glaubwürdigkeit von Zertifikaten und das damit verbundene Verbrauchervertrauen herausgekommen: Das gesamte deutsche Zertifizierungsgeschehen wird derzeit auf Geheiß der EU auf Basis der Frabo-Erfahrungen auf eine objektivere Basis gestellt. Zertifizierungen sollen künftig nachprüfbaren Kriterien entsprechen. Wir sind gespannt, ob Europa hier für Klarheit und Wahrheit sorgen kann.

von Richard Schütze
02.12.2013
   
 
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