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Big brother is watching …


Während sich der Westen ob des NSA-Skandals selbst zerfleischt, steht im Hintergrund Putin und freut sich. Schuld, dass es so weit kommen konnte, hat Barack Obama.
 
Wenn Militärs auch in der politischen Kommunikation das Heft des Handelns übernehmen, gar in die Offensive und höchstpersönlich an die Front gehen, dann muss die Lage wirklich kritisch oder gar schon verzweifelt sein.

Die Chefs der US-Geheimdienste, NSA-Direktor Keith Alexander, dessen Stellvertreter Chris Inglis und Geheimdienstkoordinator James Clapper, traten bei einer Anhörung vor dem US-Senat in der vergangenen Woche zur geballten Gegenoffensive an. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“ attackierten die glorreichen Drei ihre NATO-Partner, allen voran den deutschen Bundesnachrichtendienst. Als sei geteiltes Unrecht überhaupt nicht oder zumindest viel weniger kriminell, gaben sie zu Protokoll, andere westliche Dienste befleißigten sich ebenfalls diverser Spionagemethoden. Man habe im Übrigen untereinander beflissen Daten ausgetauscht und insgesamt gut und erfolgreich zusammengearbeitet.

Nach der Methode „wie Du mir, so ich Dir“ habe der BND ebenfalls massenhaft Bürger ausgespäht – und zwar Amerikaner und dies sogar auf dem Territorium der Vereinigten Staaten. Schließlich habe man seit den Anschlägen auf das World Trade Center im September 2011 zumindest an der Heimatfront größere Anschläge mit vielen Toten verhindern können.

Der Atlantik scheint wieder ein tiefer Graben zu sein

Derweil zieht die Snowden-Affäre ungebremst immer weitere Kreise. Längst greift in der sogenannten freien Welt ein regelrechter Flächenbrand um sich. Jeder beschuldigt jeden, den jeweils anderen mit unerlaubten Mitteln abzulauschen und auszuspähen. Freunde und Partner verdächtigen sich gegenseitig der Wirtschaftsspionage und der Verletzung fundamentaler Menschen-, Grund- und Freiheitsrechte. Die Verhandlungen über Handelsabkommen werden ausgesetzt und nach so viel abgehörter Kommunikation herrscht nun eisige Funkstille im westlichen Bündnis. Auf einmal scheint der Atlantik wieder ein tiefer Graben zu sein.

Die träge und lustlos dahindümpelnde euro-atlantische Partnerschaft war aus ihrer bürokratischen Alltagsroutine durch einen entrüsteten Aufschrei hochgeschreckt. Die sonst ob ihrer Zurückhaltung gerühmte deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte sich in einer – für ihre emotionalen Verhältnisse – geradezu fulminant aus ihrer gewohnten Rolle fallenden Art öffentlich und undiplomatisch empört: „Freunde abhören – das geht gar nicht!“ Sofort explodierte eine hochkochende Gerüchteküche, während zugleich die Beziehungen zwischen den kontinentaleuropäischen Hauptstädten und Washington zu Eis gefroren.

In das Vakuum des allseitigen Schweigens bläst der berühmteste Whistleblower des angebrochenen 21. Jahrhunderts, ein wenig nach James Bond ausschauender, dafür umso unverlebter und juvenil wirkender IT-Spezialist namens Edward Snowden unter der genialen Regie von Russlands Präsident Wladimir Putin emsig immer neuen Zündstoff. Sein Herrschaftswissen über das Treiben von CIA und NSA scheint kein Ende zu nehmen. Vielleicht serviert er zum krönenden Abschluss auch noch ein paar Datensätze über die Methoden des BND. Nobody knows – außer vielleicht Putin.

Von Putin inszeniert

Während namhafte Politiker sich betulich ereifern und in der Attitüde von ahnungslos aufgescheuchten Hasen, sich vor Schreck überschlagend die internationalen Furchen rauf- und runterjagen, wirkt der gewiefte Anwalt und Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele in dem vom genialen Putin inszenierten Stück vom unschuldigen Snowden-Schneewittchen mit. Nicht Ströbele ist ein Polit-Coup gelungen; vielmehr hat er Putins Coup als Statist nur vollendet und könnte sich bei dieser Moskauer Inszenierung schlussendlich sogar in der Rolle des nützlichen Idioten wiederfinden.

Derweil scheint kein Ding mehr unmöglich. Die Spekulationen schießen ins Kraut. Bei den Medien sowieso, aber auch bei Experten und Spezialisten. NSA und CIA werden technologisch wahre Wunder zugetraut. Für solch geniale Spione wären Nobelpreise im Dutzend allemal angemessen. Russen und Chinesen dürfen sich entspannt zurücklehnen. Der Westen demontiert sich lustvoll selbst. Oligarchen, Patriarchen und Despoten wussten schon immer um die Risiken einer pluralistisch verfassten Gesellschaft und deren Fliehkräfte. So schaut es also aus, wenn Demokraten einander lustvoll misstrauen und sich gegenseitig in aller Öffentlichkeit anprangern. Ein Hühnerhaufen ist demgegenüber eine geordnet aufgestellte Einheit mit solidarischem Corpsgeist.

Nur die glorreichen Drei kommen noch, beseelt von dem übergeordneten Ziel der Abwehr des Terrorismus und dem Auftrag, die eigene Nation um fast jeden Preis zu schützen und dabei gänzlich unangekränkelt von Zweifeln ob der angewandten Methoden, schneidig daher.
Die westliche Führungsmacht tut zudem den Mächtigen in der nicht so freien Welt und manch interessiertem Trittbrettfahrer daheim im sicheren und freien Westen den großen Gefallen, Schneewittchen Snowden immer mehr zu dämonisieren und sich in der Gier, dieses blässlichen Agenten habhaft zu werden, in einen kaum nachvollziehbaren Verfolgungswahn hinein zu versteigen.

Wo bleibt Obama?

In der Krisenkommunikation gilt die Regel, dass der König tunlichst nicht voreilig an der Front zum Einsatz gebracht und von ihr so lange wie möglich fern gehalten werden soll. Doch bei dieser Krise muss er sich zeigen. Barack Obama hätte längst einschreiten, die allseitige Kakophonie disziplinieren, persönlich und öffentlich Fehler einräumen, sein aufrichtiges Bedauern ausdrücken, um Verzeihung bitten und eine internationale Konferenz zur Regelung der Verhältnisse zumindest in der westlichen Welt initiieren müssen. Das Schweigen des Präsidenten der westlichen Supermacht ist fatal. Während seine Botschafter und Ex-Botschafter sich gegen den Meinungsstrom anstrampelnd mit verquasten diplomatischen Formulierungen abmühen und doch vom Chor der Interpreten mit- und weggerissen werden, flieht Obama die Öffentlichkeit.

Der Held und Messias des Jahres 2008 und der Friedensnobelpreisträger von 2009 scheint ab- und weggetaucht. Ganz wie zumeist der zum Staatsfeind Nummer eins der USA ausgerufene Datenträger Snowden in den Händen des russischen FSB. Es wird Zeit, dass Angela Merkel sich als Freundin Amerikas erweist und dem US-Präsident eine Brücke zurück ins wirkliche Leben baut. Im vertrauten Gespräch der nach Meinung des US-Magazins „Forbes“ mächtigsten Frau der Welt mit ihrem großen Bruder. Big Brother is watching – yes, but he is not speaking. He lost his voice. The voice of America. At the moment the free world has no voice. What a pity!

Bald ist Thanksgiving Day in den USA. Wir schulden Amerika viel und auch eine neue Chance.

von Richard Schütze
04.11.2013
   
 
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