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Die Union mag wie ein Sieger wirken — doch hinter dem Stolz über den Wahlsieg verbirgt sich eine kommende Krise.
 
Im bürgerlichen Lager gärt es. Die FDP ist auf der Suche nach sich selbst und einem neuen Konzept, das im politischen Raum einen als Partei organisierten Liberalismus noch sinnvoll und auch notwendig erscheinen lässt. Der Fortbestand der „Alternative für Deutschland“ (AfD) und ihre Weiterentwicklung zu einer politischen Partei wird auch davon abhängen, ob sich das noch im Stadium einer euroskeptischen Protestbewegung befindliche Sammelbecken nach rechts außen weiter abgrenzen und zugleich auf einer breiten Themenpalette konsistente Antworten anbieten und nicht nur kritische Fragen stellen kann. Dabei sind FDP und AfD tief im bürgerlichen Lager verhaftet und auf die Union hingeordnet. Selbst wenn die neuen liberalen Hoffnungsträger Christian Lindner und Wolfgang Kubicki mit vorsichtigem Flügelschlagen und als Reminiszenz an sozialliberale Zeiten leise Befreiungsversuche zur Sozialdemokratie hin unternehmen.

Während die im Umbruch befindlichen Führungsriegen von SPD und Grünen sich nach ihren Wahldebakeln Rückhalt an der Basis zu verschaffen suchen, um sich fast verängstigt, aber mit plebiszitärer Absicherung in die Sondierungsgespräche mit Merkels CDU und Seehofers CSU vorzutasten, rückt die Union zu diesen Verhandlungen im Bewusstsein ihres kraftvollen Sieges mit scheinbar stolz geschwellter Brust und breiter Phalanx an. Doch sehen viele darin auch ein letztes Aufgebot einer ausblutenden Partei. Damit ist vor allem die CDU gemeint; die CSU scheint sich nach ihrem Einbruch bei den Landtagswahlen 2008 wieder gefangen und erneut als bayerische Volkspartei mit deutschland- und europapolitischem Anspruch südlich des Weißwurstäquators fest verwurzelt zu haben. War die CDU unter Adenauer und auch noch in der kurzen Ära von Kurt Georg Kiesinger und Rainer Barzel bis zu Beginn der 70er-Jahre vorwiegend ein Kanzlerwahlverein, so ist sie unter ihrem Rekordkanzler und Parteivorsitzenden Helmut Kohl und dessen Generalsekretären Kurt H. Biedenkopf und Heiner Geißler zu einer Mitgliederpartei herangewachsen und hatte zeitweilig sogar die traditionell in vielen Ortsvereinen beheimateten Sozialdemokraten an Mitgliedern übertroffen.

In den bewegten 70er- und 80er-Jahren kam Leben in die bei Intellektuellen einst als spießbürgerlich verschriene konservative Bude. Nicht nur Biedenkopf und Geißler, auch der rheinisch-katholische „Herz-Jesu-Marxist“ (Strauß) Norbert Blüm, der evangelische Kirchentagspräsident Richard von Weizsäcker, der Brüsseler Spitzenbeamte und Bahlsen-Manager Ernst Albrecht, die Oberstudiendirektorin Hanna-Renate Laurien, der Verfassungsrechtler Roman Herzog, der schneidige Hesse Alfred Dregger, aber auch der eher bedächtige Richter und Oberbürgermeister Walter Wallmann, der profund gebildete Bernhard Vogel, die streitlustige Erziehungswissenschaftlerin Rita Süssmuth und viele andere prägten im konservativen Spektrum eine phosphoreszierende Streitkultur und lieferten sich unter der Schirmherrschaft von Kanzler Willy Brandt und Oppositionsführer Helmut Kohl heftige Duelle mit Fraktionschef und SPD-Einpeitscher Herbert Wehner, Kanzleramtsminister Horst Ehmke, Ost-West-Unterhändler Egon Bahr, dem Bildungs- und Außenstaatssekretär Klaus von Dohnanyi und SPD-Bundesgeschäftsführer Peter Glotz sowie den Sozialliberalen Walter Scheel, Wolfgang Mischnick, Hildegard Hamm-Brücher, Liselotte Funcke und natürlich dem späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD).

Damals ging es hoch her und Kohl förderte bewusst intellektuelle und auch elitäre Seiteneinsteiger, um die Basis der CDU zu verbreitern und lebendig zu erhalten. Wenngleich auch Kohl sich bei Führungsentscheidungen, ähnlich wie heute Kanzlerin Merkel, auf ein eng begrenztes Küchenkabinett stützte und sich auf wenige Vertraute und ihm absolut loyal Ergebene verließ, war dem unterschätzten Pfälzer doch zugleich immer an Debatten auf einem hohen Niveau gelegen. Die CDU hielt diese Spannung aus und wuchs daran.

Eine Zeitlang hat diese Generation dann noch als Elder Statesmen and Women das politisch-intellektuelle Leben der Republik beeinflusst und mitgestaltet. Doch nun selbst in den 80er- und 90er-Lebensjahren stehend, melden sie sich nur noch sporadisch zu Wort und einer nach dem anderen tritt von der öffentlichen Bühne ab. Zuletzt verstarb Walter Wallmann am 21. September.

Am 15. September wäre auch der 1913 geborene und bereits am 1. April 2007 verstorbene ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger 100 Jahre alt geworden. Bei der Landtagswahl 1976 errang er mit dem seinerzeit auch auf die Bundespartei abstrahlenden Slogan „Freiheit statt Sozialismus“ mit 56,7 Prozent das bislang höchste Ergebnis für seine Partei. Filbinger gehört nach den Gründervätern und -müttern der Republik zu jener Generation, die noch in jungen Berufsjahren in der Wehrmacht Dienst zu tun hatte und der die Gnade einer späteren Geburt versagt geblieben war. Als Marinerichter hatte er, gerade Anfang 30, in staatsanwaltschaftlichen und richterlichen Funktionen unter anderem an Verfahren gegen Deserteure und dabei – auch auf Anordnung von Vorgesetzten – an Todesurteilen mitwirken müssen.

In ihrer bewegenden Vater-Tochter-Biografie „Kein weißes Blatt“ beschreibt Susanna Filbinger-Riggert, dass ihr Vater zwar Mitglied der NSDAP und auch in den ersten Kriegsjahren für das Soldatentum eingenommen, aber ausweislich der von ihr aufgefundenen Tagebücher nicht der Nazi-Ideologie verfallen gewesen sei, sondern sich vielmehr von dem christlichen Menschen- und einem humanistischen Weltbild angezogen gefühlt habe. Wenngleich Filbinger nicht mehr die Kraft aufbrachte, sich öffentlich von den heute als Unrecht angesehenen Urteilen zu distanzieren, hat sein politisches Wirken das maßgeblich unter seiner Führung auch innerlich vereinte Bundesland aus Badenern und Württembergern vorangebracht und enorm stark gemacht. Dabei hatte er mit dem sogenannten Deutschen Herbst 1977 und der RAF-Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer sowie der aufkommenden Anti-Atom-Bewegung im Zusammenhang mit dem Kernkraftwerk Wyhl härteste Auseinandersetzungen mit rechtsstaatlichen Mitteln zu bestehen.

Traumata des Totalitarismus

Doch auch scharfe Filbinger-Kritiker vom Schlage des Literaturnobelpreisträgers und ehemaligen Mitglieds der Waffen-SS Günter Grass oder dessen Kollege, der Rhetorikprofessor Walter Jens, der in Naziparteilisten als HJ- und NSDAP-Mitglied geführt wurde, haben sich weniger durch ein frühzeitiges Outing als vielmehr vor allem durch ihr späteres Wirken und Bekennen von ihren Jugendsünden bekehrt. Bis heute hin leiden auch diese Überlebenden jener gespenstig unheilvollen Zeit an Traumata, die Krieg und nationalsozialistischer Totalitarismus in den damals jungen Seelen verursacht haben. Für die Jürgen Trittins und Daniel Cohn-Bendits, die sich selbst heute mit Vorwürfen und Verstrickungen in die Pädophilie-Propaganda der grünen Gründerzeit konfrontiert sehen, sollte dies ein Weckruf zu mehr Nachsicht bei der moralischen Be- und Verurteilung der Biografien von politisch Andersdenkenden sein.

Für Parteichefin Angela Merkel und CDU-General Hermann Gröhe aber bleibt die Aufgabe, nun die Zukunft der Partei zu gestalten. Die CDU muss wieder mehr interessante, profilierte und auch kantige Persönlichkeiten mit von der vorgegebenen Parteilinie auch abweichenden Meinungen aufbieten und in Funktionen bringen, wenn sie auch nach der Ära Merkel noch die große bürgerliche Volkspartei in Deutschland bleiben will.

von Richard Schütze
07.10.2013
   
 
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