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Gemeine Rede

Ich mache Sie kugelfest, sagt Richard Schütze zu seinen Mandanten. Seit mehr als 20 Jahren präpariert er Politiker für öffentliche Auftritte. Aber die verheimlichen ihr Coaching lieber. Warum nur? Über die Kunst des guten Auftritts in Zeiten großer TV-Duelle

Natürlich, sagt Richard Schütze, würden Merkel und Steinbrück üben. Er, Schütze, habe mit seinen Mandanten mitunter eine ganze Woche lang täglich eine Stunde und mehr trainiert. Doch wenn Angela Merkel und Peer Steinbrück das TV-Duell mit Vertrauten durchspielen, was nach Ansicht von Schütze zu Gebote stünde, würden sie es nicht zugeben. Beim letzten Fernsehduell vor vier Jahren wurde Ronald Pofalla, damals noch Generalsekretär der CDU, beiläufig während einer Raucherpause vor dem Studio gefragt, ob sich die Kanzlerin habe coachen lassen. „Staatsgeheimnis“, sagte Pofalla.

Es sei durchaus hilfreich, glaubt Schütze, wenn ein Kandidat „den Härtegrad der Auseinandersetzung nicht nur intellektuell“ reflektiere, sondern auch „körperlich“ spüre. „Wenn Sie mir vertrauen“, so pflege er zu seinen Mandanten zu sagen, „versuche ich, Sie kugelfest zu machen“. Sein Job sei es, zu allen relevanten Themen sämtliche Gegenpositionen vorwegzunehmen, emotionales Ramponieren zu simulieren. „Von einem Aus-der-Haut-Fahren des Gegners bis hin zu moralischen Vorwürfen wie beispielsweise: ,Sie sind jahrelang der Protagonist eines kaltblütigen Egoismus gewesen, der in diesem Land alles gnadenlos durchgezogen hat, was gegen die Grundpositionen der Solidarität unter den Menschen verstößt.’“

Richard Schützes Berufsbezeichnung ist Berater, die Sprachstanzen des Politikbetriebes beherrscht er im Schlaf. Es gibt einige wie ihn, die davon leben, die Mächtigen zu beraten. Nur darüber reden wollen die meisten nicht.

Seit Anfang der 90er Jahre präpariert Schütze Politiker für öffentliche Auftritte. Ronald Reagan, sagt er, habe der Welt erstmals vorgeführt, wie wirksam eine geschliffene Selbstdarstellung sein kann. Spätestens, seitdem im Jahr 2002 das Fernsehformat des Kanzler-Duells aus Amerika adaptiert worden ist, ist der Wettstreit um die bessere Bühnenpräsenz im deutschen Wahlkampf angekommen.

Am Sonntagabend diskutieren Bundeskanzlerin Merkel und ihr Herausforderer Peer Steinbrück, vier Fernsehsender übertragen. An keinem anderen Termin erreichen die Kandidaten so viele Wähler. Vor vier Jahren schauten 15 Millionen zu. Beim ersten deutschen TV-Duell im Jahr 2002 hat Schütze angeblich im Auftrag des Unionskandidaten Tipps zusammengestellt. Der Fernseh-Schaukampf um das Amt eines Regierungschefs hat sich in den vergangenen Jahren auch in den Bundesländern ausgebreitet. Dort betreute Schütze mehrmals Kandidaten persönlich.

Einmal habe er am „D-Day“, wie er sagt, festgestellt, dass die Kleidung seines Mandanten nicht zu den kräftigen Farben der Studiodekoration passte. Bei einem Herrenausstatter in der betreffenden Landeshauptstadt habe er schnell drei Anzüge und fünf Krawatten besorgt. „Ein Anzug sollte dunkel sein, nicht zu schmal gestreift, weil sonst das Fernsehbild flimmert“, sagt er. Rot sei eine gute Krawattenfarbe für solche Anlässe, rot strahle Dynamik aus. Hellbeige oder blaue Hemden seien zu empfehlen. „Blau steht für Future, Adventure, Science.“

Nun trägt Richard Schütze zum Interview selbst einen dunklen Anzug, eine rote Krawatte und ein hellblaues Hemd. Es ist eine seltsame Situation, mit einem Spezialisten über eine geschickte Selbstinszenierung für Medienauftritte zu sprechen, der selbst gerade einen Medienauftritt hat. Schütze gibt sich sehr zuvorkommend. Er ist ein rundlicher Mann, 58 Jahre alt, mit nach hinten geföhnten Haaren und einer weichen Stimme, der anzuhören ist, dass er aus dem Rheinland kommt.

Sein Büro liegt in einem wuchtigen Gründerzeithaus nahe dem Berliner Breitscheidplatz. Im Flur steht ein Klavier. Im Berliner Zimmer befinden sich ein Konferenztisch mit zwei Thermoskannen, drei Zimmerpflanzen, ein Biedermeiersofa, Schützes Pfeifensammlung und hunderte Bücher. Er wolle seinen Mandanten ein „kulturelles und geistig anregendes Ambiente“ bieten, sagt Schütze. Doch in nur 15 Minuten könne er alle Möbel verschwinden lassen und das Zimmer zu einem Fernsehstudio umbauen.

Viele seiner Mandanten kommen zum Training zu ihm. Anschließend gehen sie mit ihren Besuchen in der Altbauetage so diskret um, als verkehrten sie in der Praxis des Spanischen Doping-Arztes Eufemiano Fuentes. Vielleicht fürchten sie, der Wähler könnte argwöhnen, dass es einem Politiker, der sein Auftreten perfektioniert, um Show geht, nicht um Inhalte.

Über Peer Steinbrück wird verbreitet, dass er im Wahlkampf bewusst auf Coaching verzichte. Bemühungen dieser Art würden ohnehin als Schauspielerei entlarvt, soll er gesagt haben. Angeblich haben mittlerweile fast alle Bundestagsabgeordneten im Laufe ihrer Karriere mal einen Rhetorik-Kurs gemacht, allerdings meist lediglich ein Gruppenseminar, wie es die Stiftungen der Parteien anbieten. Ungefähr die Hälfte der Minister im Bund und in den Ländern hätte schon mal im Einzelgespräch beim Mediencoach gesessen. Mehr als diese vagen Einschätzungen sind von den Pressestellen der Parteien nicht zu erfahren. Ein Mitarbeiter einer politischen Stiftung sagt, dass er Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen müsse, wenn er beispielsweise im Auftrag eines Landesgeschäftsführers den regionalen Parteispitzen einen Coach vermittelt.

Nur die Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus lassen sich, ihrer Transparenzdoktrin entsprechend, im Internet beim Medientraining beobachten. Sie nehmen es, das zeigt der Kurzfilm, nicht ernst. Coach Christian Stahl fordert Christopher Lauer auf, die Hände so vor den Bauch zu halten, dass sich die Fingerspitzen berühren. Lauer formt mit seinen Daumen und Zeigefingern eine Raute. Wenn schon, sagt er, würde er die Finger lieber so halten. Nein, korrigiert Stahl, das mache schon Merkel. „Aber die ist BundeskanzlerinÂ…“, kontert Lauer. Dann reißt der Dialogfetzen ab.

„Großes Thema: Wohin mit den Flügeln?“, sagt Richard Schütze. „Wenn Sie erlaubenÂ…“, sagt er, springt vom Stuhl auf, eilt aus dem Zimmer und kommt mit einem Flipchart zurück. An einem ebenfalls mitgebrachten Edding nestelt er so hastig, dass er runterfällt. Er will demonstrieren, wie „gefährlich“ es sei, einen Stift in der Hand zu halten, wenn man nervös ist. Zu empfehlen seien dagegen große Pappkarten, wie Günther Jauch sie benutze, an denen könne man sich festhalten „wie an einer Liane“.

Helmut Kohl habe in prekären Situationen seine Krawatte gestreichelt. Oskar Lafontaine habe sich die Hände vor der Brust gerieben, als würde er sie waschen. Gerhard Schröder habe sich mit einer Hand den Nacken massiert. Schütze hat ein lexikalisches Wissen über Verlegenheitsgesten von Politikern. Angela Merkels Hand-Raute suggeriere Ruhe und kaschiere alle Gefühlslagen. Sie erinnere an einen Geistlichen beim Gebet, sagt Schütze: Körper und Arme formten einen Kreis, durch den Energie fließen könne.

Es spricht also einiges dafür, dass jemand vom Fach Merkel die Geste beigebracht hat. Vor ihrem ersten Kanzlerduell, das sie gegen Schröder bestritt, hat sie sich von dem ehemaligen Moderator des „heute journals“, Alexander Niemetz, beraten lassen. Doch soll Merkel lediglich Sprechen und Auftreten vor der Kamera geübt haben. Ihre Argumentationsmuster machte sie nicht mit dem Coach aus. Bei ihrem zweiten Duell gegen Steinmeier soll sie einen Spickzettel mit ins Studio genommen haben. Aufschrift: „Trinken und lächeln“.

Das Lampenfieber, erklärt Richard Schütze, führe mitunter zu heftigen Schweißausbrüchen. Der Körper trockne aus, wenn einer nicht genug trinke. „Die Schleimhäute werden dann pampig. Das führt zu hässlichen Schmatzlauten.“

Ausgerechnet ein Coach aus Amerika, Dick Morris, machte sich über das Kanzlerduell lustig. Die Inszenierung der Kandidaten erinnere an einen Schönheitswettbewerb. Morris hat in den 90ern Bill Clinton beraten, teilweise im Badezimmer, damit es niemand bemerkt. Dick Morris’ weltweite Reputation fußt darauf, dass er Clinton trotz Lewinsky-Affäre zur Wiederwahl verholfen haben soll. Die Prominenz des Mandanten färbt auf den Coach ab. Auch in Deutschland ist das so.

Schütze hat eine Kolumne aus der „Bunten“ auf seine Homepage gestellt, in der darüber spekuliert wird, ob er den damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler trainiert habe. Schütze zögert, als man ihn fragt, ob das stimme. Nein.

Fest steht, dass Richard Schütze Christian Wulff und Ursula von der Leyen gecoacht hat. Bei Leyen outete ihn ein Journalist, der ihn im Publikum einer Talkshow entdeckte, bei der die Ministerin eingeladen war. Leyen habe eine große Begabung, aufzutreten, sagt Schütze beflissen. Der könne er nur wenig helfen. „Und warum hat sie so eine gute Körperspannung?“, fragt er. „Weil sie Dressurreiterin ist.“ Schütze hat auch zwei Pferde.

Außerdem ist er ebenfalls in der CDU, was aber, wie er sagt, für seine Arbeit unerheblich sei. Er berate „führende Repräsentanten aus der Wirtschaft und von Verbänden sowie Politiker aus dem bürgerlich-konservativen Spektrum“, wozu er auch die SPD und die Grünen zählt. Im Auftrag des Kanzleramtes unter Schröder habe er mal zwei Videobänder mit Reden des damaligen Kanzlers analysiert. Von Beruf ist Schütze Anwalt wie Schröder. Sein Fachwissen als Coach hat er mit der Zeit aus verschiedensten Quellen zusammengesammelt. Es ist eine Mischung aus antiker Philosophie und modernem Marketing bis hin zu „Brigitte“-Ratgeber-Regeln.

Schütze sagt, er lote gemeinsam mit seinen Mandanten „deren Botschaft aus und ihre Fundierung in der Argumentation“. Die Einstiegsfrage lautet: „Welcher Stern leuchtet in Ihnen?“ Wenn jemand eine inspirierende Idee in sich trage, sagt Schütze, erfülle diese Idee die Person „mit einer Mission“. Daraus erwachse eine Persönlichkeit, die für ein Anliegen stehe.

Jeder, sagt er, könne ein gewisses Charisma lernen. Bei Schütze Consult muss man in der Stunde rund 150 Euro aufwärts dafür bezahlen. Mit dem Edding schreibt er auf das Flipchart „Repräsentant – Galionsfigur – Idol – Ikone“. Verschiedene Stufen, die ein Mensch in der Außenwahrnehmung erklimmen kann.

Willy Brandt stehe für die Aussöhnung mit Polen, die Friedensnobelpreisträgerin aus Myanmar Aung San Suu Kyi für Freiheit. Schütze schwärmt von der Bedeutsamkeit weiterer Ikonen: Johannes Paul II, Mandela und Kennedy. Er wird arg pathetisch. Offenbar sind Politiker empfänglich dafür. Vielleicht muss einen die Sehnsucht nach historischer Größe antreiben, um die Demütigungen des politischen Alltags auszuhalten.

Merkel und Steinbrück müssen am Sonntag Stefan Raab aushalten. Ausgerechnet der sperrige Edmund Stoiber, dessen Wahlkampfteam damals auf den strengen Regeln des Duells bestand, hat Raab als Moderator für dieses Jahr ins Spiel gebracht. Steinbrück werde Raab mit Selbstironie begegnen, glaubt Schütze. In letzter Zeit stelle er sich häufig so dar: „Ich bin ja der, der ins Fettnäpfchen tritt.“

Richard Schütze gibt am Wochenende ein Seminar. Zusammen mit den Teilnehmern will er sich das Duell ansehen. Es sind keine Politiker. Einen Großteil seines Geldes verdient Schütze in der Wirtschaft. Er schreibt beispielsweise Konzepte, wie Unternehmen mit Krisen umgehen sollen. Auch Politiker wenden sich an ihn, wenn sie in der Kritik stehen. Einem, sagt Schütze, habe er sogar mal zum Rücktritt geraten. „Es fehlt die Akzeptanzbasis. Ich an ihrer Stelle würde ins zweite Glied zurücktreten“, so ähnlich habe er das damals formuliert.

Er beeilt sich zu sagen, dass es sich nicht um Christian Wulff gehandelt habe. Den berate er schon lange nicht mehr. Nicht jeder prominente Mandant schmückt einen Coach.

von Barbara Nolte
31.8.2013
   
 
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